
ABBAU OST
Von Rico Wagner und Ensemble
Unter Verwendung des gleichnamigen dramatischen Texts Elias Kosanke
Regie: Rico Wagner
Künstlerische Mitarbeit/Research: Stefanie Thalheim
Bühne und Kostüm: Christine Ruynat
Dramaturgie: Kathleen Rabe
Projektleitung: Luisa Kaiser
Technischer Support: ACUD THEATER Berlin-Mitte
Ensemble:
Gregor Knop, Julek Kreutzer, Thea Rasche, Martin Schnippa
Uraufführung: 13.10.2022, ACUD Theater Berlin
Woher kommt die Wut, Bürger*in? Woher die Gewalt? In ABBAU OST fragen sich vier Nachwendekinder, was eigentlich in jenen Ost-Familien passiert ist, die nicht mehr über Politik reden, sich nur noch streiten und einander nicht mehr verstehen. Woher kommen die Frustration, die Wut und die Gewalt, die sich erneut breit artikulieren – erst in den frühen 1990er Jahren, und seit einigen Jahren wieder auf
der Straße, im Feuilleton und im Stammlokal?
Den Mittelpunkt des Stücks bildet die Erzählung von Elias Kosanke: Jane aus Eberswalde (lebt jetzt in Berlin) streitet viel mit ihrer Mutter und seitdem sich diese auf den verschwörungsideologischen Montagsdemonstrationen rumtreibt, streiten sie noch viel mehr. Tochter und Mutter bewegen sich auf dünnem Eis, wenn sie einerseits versuchen, ihren sich widersprechenden Ansichten von Leben & Politik treu zu bleiben, und andererseits die Beziehung noch nicht komplett aufgeben wollen.
(S. Thalheim/R. Wagner zu "ABBAU OST")




WIR
die Weggezogenen
die Entkommenen
die Getürmten
die Verschwundenen
die Verwunschenen
Wir, in den Tarnhosen,
unsere Pimkieshirts schützten uns nicht.
wir, die niemals in wäschesteifen blauen Hemden standen
wir, die wenig mitbekommen haben,
außer die unverdauten Reste
wir sind die, die über den Rand dieser Welt gesprungen sind
-mit Tokio Hotel raus aus Magdeburg bis nach Miami Beach!-
Wir sind die, die neue Freunde gefunden haben.
Vor unseren neuen Freundinnen tun wir so, als hätte Tocotronic zu
unserer Sozialisierung gehört.
Wir machen uns unabhängiger.
Wir klettern die Leitern herauf und bekommen nachts Höhenangst
Unsere Dialekte haben wir uns längst abgewöhnt und lächeln müde
darüber, wenn unsere Freundinnen aus Ulm, einen Berliner Dialekt
nachahmen.
Wir haben unseren schließlich noch in Brandenburg gelernt.
Als es an einem Theater in Berlin die Frage gab, wer aus dem
Publikum aus dem Osten kommt, hoben von den mehreren hundert
Leuten im Saal ich und zweidrei andere ihre Hand.
Es war ein leiser Chor.
Aber hier hört ihr uns gut, richtig? IHR HÖRT UNS DOCH ODER?
ODER HÖRT IHR HIER NUR HÖFLICH ZU WEIL IHR DAS GELERNT
HABT DAS HÖFLICHE HINHÖREN.
–
Dabei sind wir noch nie: Trabbi gefahren.
Sie müssen Verständnis dafür haben: unsere Eltern kommen aus
einem ganz anderem Land
Wir, ihre Kinder leben jetzt weit weg, mindestens vierzig
Autominuten entfernt.
Mit einer Schüssel Popcorn auf dem Schoß, schauen wir durch
Spielzeug-Ferngläser zurück.
Wenn jemand zurückschaut, verstecken wir uns schnell
hinterm Vorhang.
Und fragen uns:
Was hat die bloß so ruiniert?
(Auszug "Track A" von Elias Kosanke)